SonstigesOrganisationsentwicklung

Interview mit Robert A. Sedlák

CEO S&P Consulting | Guest Professor an der ECNU, Shanghai

„Mit dem falschen Radarsystem ist der Eisberg nicht früh genug zu erkennen“

Seit August 2018 begleitet S&P Consulting die Duisburger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH (DVV) im Zukunftsprogramm DVVision. Im Rahmen von DVVision arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller Gesellschaften des DVV-Konzerns, Abteilungen und Hierarchieebenen gemeinsam daran, Herausforderungen, Entwicklungen und Trends frühzeitig zu erkennen und sich bestmöglich darauf einzustellen.

Im Interview spricht Guest Professor Robert A. Sedlák über die Fähigkeit und das Potenzial einer Organisation, sich eigenständig und vorausschauend weiterzuentwickeln und mit den wachsenden Herausforderungen adäquat umzugehen.

Sehr geehrter Herr Sedlák, Sie leiten Ihre Beratung von sozialwissenschaftlichen Systemtheorien ab. Wie definiert sich demnach der Begriff „Vorausschauende Organisation“?

Wir begreifen Organisationen als hochkomplexe soziale Systeme mit vorhandenen Hierarchie- und Kommunikationsstrukturen. Nach diesem Verständnis sehen wir in erster Linie nicht die Menschen in einer Organisation als die wesentlichen Ansatzpunkte, sondern die Art und Weise, wie sich eine Organisation mit Informationen und Impulsen versorgt, diese auswertet und dann zu Entscheidungen kommt. Wir schauen also nicht als Erstes auf die Mitarbeiter, sondern auf die vorhandenen Strukturen.

Und was genau ist mit „vorausschauend“ gemeint?

Die Zukunft ist und bleibt unsicher. Es geht daher darum, Entwicklungen frühzeitig zu erkennen oder zu erahnen und das Unternehmen darauf vorzubereiten. Aus diesem Grund sollte sich eine Organisation ausreichend mit Impulsen von außen versorgen, diese auswerten und daraus ihre Fähigkeit für ein vorausschauendes Handeln entwickeln. Leider haben nur wenige Organisationen dies für sich erkannt und ihre Planungs- und Steuerungsprozesse darauf eingestellt.

Was passiert mit Unternehmen, die nicht vorausschauend handeln?

Jede Unternehmenskrise ist letztlich ein Ergebnis von Fehleinschätzungen oder vom Nichtsehen von Entwicklungen, die im Verborgenen schon stattfinden. Es ist schon tragisch zu beobachten, wie selbst große Geschäftseinheiten DAXnotierter Konzerne über Jahre hinweg zu falschen Markteinschätzungen kommen und von einer Notoperation zur nächsten manövrieren. Dies sind für uns Indizien dafür, dass die Radarsysteme nicht richtig ausgerichtet sind und damit eine Organisation Gefahr läuft, den Eisberg nicht frühzeitig zu erkennen, und sich mit voller Wucht selbst beschädigt.

Wie entsteht denn ein „Radarsystem“ einer Organisation?

Eine Organisation kann nicht das ganze Universum beobachten und alle Impulse von außen aufnehmen, also muss sie auswählen. Hierzu bilden Organisationen über die Zeit eigene Beobachtungs- und Bewertungsraster aus. Es geht um die Frage, was für die DVV relevant ist und was nicht. Und bei der Beantwortung dieser Frage wird ja schon definiert, was der DVVKonzern organisational gesehen nicht beobachtet und dann auch vielleicht nicht mitbekommt. So kann es sein, dass hoch relevante Entwicklungen einfach nicht „auf dem Schirm“ sind. An diesem Punkt werden wir intensiv arbeiten, sodass die relevanten Entwicklungen frühzeitig besprochen und ausgewertet werden, um sicherzustellen, dass kluge Entscheidungen für die Zukunft getroffen und dann auch umgesetzt werden.

„Jede Organisation muss also regelmäßig überprüfen, ob die Maßstäbe, die sie bei Bewertungen anlegt, noch zeitgemäß sind. Sonst kann es dazu führen, dass eine Organisation lebenswichtige Veränderungen für sich nicht rechtzeitig erkennt oder realisiert und dadurch in eine Schieflage gerät. Wir sprechen hier gerne davon, dass eine Organisation den „Schwarzen Schwan“ übersieht oder dass er weiß geredet wird.“

Dann muss das Radarsystem fortlaufend neu ausgerichtet werden?

Unternehmen halten gerne an dem fest, was sich bewährt hat. Das geht so lange gut, bis sich die Rahmenbedingen verändern. Ändern sich diese, so müssen die Maßstäbe für Beobachtung und Bewertung angepasst werden. Jede Organisation muss also regelmäßig überprüfen, ob die Maßstäbe, die sie bei Bewertungen anlegt, noch zeitgemäß sind. Sonst kann es dazu führen, dass eine Organisation lebenswichtige Veränderungen für sich nicht rechtzeitig erkennt oder realisiert und dadurch in eine Schieflage gerät. Wir sprechen hier gerne davon, dass eine Organisation den „Schwarzen Schwan“ übersieht oder dass er weiß geredet wird.

Wofür genau steht der „Schwarze Schwan“?

Nachdem die Europäer im 18. Jahrhundert in Australien entgegen ihrer bisherigen Annahme davon überzeugt wurden, dass nicht alle Schwäne weiß sind, hat sich der Begriff als Metapher für unvorhersehbare oder unwahrscheinliche Ereignisse durchgesetzt. Was die Europäer für unmöglich hielten, hat sich auf einmal doch bewahrheitet. Und so ist es oft auch mit Organisationen. Sie tun sich sehr schwer damit, Dinge zu erkennen und zu akzeptieren, die noch unbekannt oder nur schwer zu erklären sind und nicht in das bestehende Muster passen. Es kann sehr anstrengend sein, zu erkennen, dass das, was wir heute machen, nicht mehr passt. Es ist ganz normal, dass als Reaktion darauf so lange hin und her diskutiert wird, bis das alte Bild wieder passt und die eigene Haltung bestätigt wird. Dies führt dann oft zu notwendigen Sanierungsmaßnahmen und im schlimmsten Fall zur Insolvenz.

Können Sie das an einem Beispiel festmachen?

Nehmen wir noch einmal das Beispiel, das Herr Wittig bereits genannt hat. Hätte Nokia frühzeitig erkannt, dass ein Computerunternehmen, welches sich auf Multimedia fokussiert, ein ernstzunehmender Wettbewerb für den Marktführer für Handys ist, dann hätte die Chance bestanden, Entwicklungen früher richtig einzuschätzen. Das Gleiche können wir heute bei unserer Automobilindustrie beobachten. Erst wurde das E-Aggregat totgeredet und nun investieren alle Milliarden von Euro in die Entwicklung der Elektrifizierung des Automobils.

Was tun wir, damit das nicht das passiert?

Wir wollen die sogenannten Schwarzen Schwäne im DVV-Konzern identifizieren und dann genau ansehen, um Entwicklungen frühzeitig zu erkennen. Es wird unsere Aufgabe sein, sicherzustellen, dass diese Tatsachen, die wir im Rahmen des Programms erkennen, nicht wieder zerredet werden, nur weil sie nicht ins Bild passen.

Was kann der DVV-Konzern genau verändern, um sich eigenständig und vorausschauend weiterentwickeln zu können?

Um genau darauf eine Antwort zu geben, hat die Geschäftsführung das Programm initiiert. Wir beginnen zunächst mit der Analysephase, um den aktuellen Stand bewerten zu können. Aus unserer langjährigen Erfahrung heraus haben wir eine Vorgehensweise entwickelt, mit der wir die Selbsterneuerung einer Organisation einschätzen können. Im Anschluss werden wir die Ergebnisse diskutieren und daraus die notwendigen Programmschritte ableiten. Es geht darum, zu lernen, eine neue Melodie zu spielen, auch wenn es anstrengend ist. Aber jeder, der ein Instrument beherrscht, wird bestätigen können, dass es sich lohnt.

Praxisbeispiel:

Dvvision

Im Rahmen von DVVision arbeitet der DVV-Konzerns unter Beteiligung aller Abteilungen und Hierarchieebenen daran, Herausforderungen, Entwicklungen und Trends frühzeitig zu erkennen und sich bestmöglich darauf einzustellen.

DVVision im Video – Bestandteil des digitalen Geschäftsberichts des DVV-Konzerns:
Dvvision
Weitere Interviews zum Prozess:
Robert A. Sedlák

Robert A. Sedlák ist Senior Executive Consultant, Chairman und CEO bei S&P Consulting International Consulting. Seit 1987 arbeitet er als selbstständiger Unternehmens­­berater sowohl für DAX-Unternehmen als auch für mittelständische Firmen. Einer seiner Beratungs­schwer­punkte ist das Thema „Vorausschauende Selbst­erneuerung“. Diese mit führenden Organisations­­wissenschaft­lern der Neueren Systemtheorie entwickelte Methode befähigt Organisationen dazu, Signale für Veränderungen früh zu erkennen und sie für einen Selbst­­erneuerungs­­prozess gezielt zu nutzen. Darüber hinaus beschäftigt er sich intensiv mit der Frage, wie organisationale und personale Lernprozesse im Rahmen von Change Prozessen optimal verzahnt werden können.

Seit 2013 ist Robert A. Sedlák Gast-Professor an der East China Normal University (ECNU) Shanghai sowie seit über 25 Jahren Mitglied im Bundes­verband Deutscher Unternehmens­­berater BDU e.V. und ein nach CMC (Certified Management Consultant) zertifizierter Unternehmens­­berater.

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